Mediale Erpressung, Naivität oder Verbraucherschutz? Wie wäre es mit Fakten?
Wenn Versicherer Leistungen ablehnen, ist die Schlussfolgerung oft schon ausgemachte Sache: sie drücken sich vor der Leistung. Wenn sich die Medien dann noch einschalten, wird es oft schwer, Rhetorik, Emotionen und Fakten auseinander zu halten. Ein aktueller Artikel greift erneut die pauschale Kritik an der Regulierungspraxis von Versicherern auf.
Von vorn:
Auszug aus einem aktuellen Artikel über einen BU-Leistungsantrag:
Ein Versicherungsnehmer, der seit acht Jahren BU-versichert ist, bekommt die ärztliche Diagnose: Arbeitsunfähigkeit. Doch der Versicherer leistet nicht, sondern fechtet den Vertrag an, denn der Anspruchssteller hatte im Antrag eine psychotherapeutische Behandlung verschwiegen. Statt aufzuklären erfolgen ohne jeden Beleg pauschale Vorwürfe:
Vorwurf an den Versicherer: Versicherer nutzten jede Möglichkeit nicht zahlen zu müssen.
Es wird dann beschrieben, dass der Versicherungsnehmer einen Vermittler hinzugezogen hätte, der ihm bei Antragstellung angeblich geraten habe, den Arztbesuch nicht anzugeben.
Vorwurf an den Vermittler: Provision sei Vermittler wichtiger als das Wohl des Kunden. Zu Wort kommt der Vermittler dabei nicht. Erwähnt wird nur fast nebenbei, dass der Vermittler den Vorwurf bestreite.
Sieben Jahre später, immer noch keine Zahlung, es herrscht Papierkrieg. Für eine Klage fehle dem Versicherungsnehmer das Geld:
Vorwurf an das Gericht: Das zuständige Gericht gewähre keine Prozesskostenhilfe.
Die Versicherung bietet dem Versicherungsnehmer 12.000 Euro an, um die Sache zu den Akten zu legen, nach Einschalten des Anwalts sogar 24.000. 170.000 hätte dem Versicherungsnehmer nach seiner Rechnung bis Vertragsende jedoch zugestanden.
Zweiter Vorwurf an den Versicherer: Das sei eine Masche der Versicherer, um berechtigte Ansprüche der Kunden abzulehnen.
Fassen wir zusammen: Der Versicherung wird vorgeworfen, dass sie trotz Anzeigepflichtverletzung nicht leistet. Der Vermittler ist schuld, da er falsch beraten hat, das Gericht, weil es keine Prozesskostenhilfe bewilligt. Der Versicherer ist gleich nochmals am Pranger, da er ohne Rechtspflicht 24.000 € anbietet, die er wahrscheinlich nicht zu leisten bräuchte.
Demgegenüber die Fakten: Wie es um den Antragsteller tatsächlich bestellt ist, kann von außen nicht beurteilt werden. Es liegt seitens des Versicherungsnehmers jedoch eine Anzeigepflichtverletzung vor, die auch nicht bestritten wird. Nach Schilderung des Kunden ist das die Schuld des Vermittlers. Also müsste konsequenterweise der Vermittler wegen Falschberatung oder der Versicherer nach Auge und Ohr-Rechtsprechung belangt werden. Letztere gilt sowohl für Agenten als auch für Mehrfachagenten. Das sind gängige und durch die Rechtsprechung hinlänglich definierte Wege.
Als Blocker wird hier die Verwehrung der Prozesskostenhilfe genannt. Dabei erfolgt kein Hinweis auf die üblichen Gründe, warum Gerichte Prozesskostenhilfe nicht bewilligen: fehlende Bedürftigkeit oder mangelnde Erfolgsaussichten. Aber hierfür ist der Versicherer eindeutig nicht verantwortlich. Der Artikel könnte also mindestens genauso gut die Sinnhaftigkeit oder Gerechtigkeit unseres Rechtssystems angreifen. Vergleichen Sie dazu die Definition von Prozesskostenhilfe: Wikipedia, Stichwort „Prozesskostenhilfe“, Version vom 7. April 2014, 07:39 Uhr, abrufbar unter http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Prozesskostenhilfe&oldid=126837890#Voraussetzungen
Der Leser wird weder über die Spielregeln zur Prozesskostenbeihilfe noch über Unterschiede zwischen Arbeitsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit informiert. Man kann den Eindruck gewinnen, dass alle Informationen vermieden werden, die auf eine Mitverantwortung des Antragstellers hindeuten könnten. Dass gerade einem Diplom Pädagogen nicht klar war, welche Bedeutung psychische Vorerkrankungen bzw. Behandlungen haben und dass Angaben im Antrag vollständig zu machen sind, könnte zumindest hinterfragt werden. Zumal jeder Versicherungsantrag deutliche Hinweise auf die Konsequenzen von falschen oder unvollständigen Angaben enthält. Der Pädagoge wird vielmehr als wehrloses Opfer präsentiert, der unkritisch seinem Vermittler gefolgt sei.
Dabei ist leider nicht unüblich, dass Vermittler beim Ausfüllen des Antrags die Bedeutung der Gesundheitsfragen herunter spielen. Aber auch die Kunden selbst machen nicht selten bewusst falsche Angaben, um Versicherungsschutz zu erhalten. Gerade dann, wenn wie im hier geschilderten Fall, schon Vorerkrankungen aufgetreten sind, die üblicherweise keinen BU-Schutz mehr zulassen. Nach unserer Auffassung fehlt diesem Fall die Bedeutung, die eine öffentliche Aufarbeitung in den Medien rechtfertigt. Die rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen eine unberechtigte Leistungsablehnung zu wehren, sind für einen solchen Fall klar beschrieben. Die Frage bleibt im Raum, ob über öffentlichen Druck Leistungen durchgesetzt werden sollen, die auf dem Rechtswege nicht zu erreichen sind.
Ein positives Beispiel dafür, wie guter Journalismus aufklärt statt sich von einer der betroffenen Seiten vor den Karren spannen zu lassen, möchten wir Ihnen in jedem Fall zu guter Letzt auch nicht vorenthalten: Zum zweiten Mal das Opfer (Die Welt)