BU-Leistungspraxis 2021 – Wie wird Berufsunfähigkeit festgestellt und wie läuft die Leistungsprüfung?
Es klingt so einfach: Die versicherte Person beantragt BU-Leistungen, der Versicherer prüft und entscheidet – in drei von vier Fällen wird die Berufsunfähigkeit zugunsten der Kunden festgestellt. Doch bis dahin dauert es im Schnitt sechs Monate. Warum brauchen die BU-Leistungsprüfer so lange? Wie läuft die BU-Leistungsprüfung eigentlich genau ab und geht es nicht auch schneller?
Regulierung in der Praxis: Von der Erstmeldung bis zur Feststellung der Berufsunfähigkeit
Am Anfang des Prozesses steht der BU-Fragebogen. Im Zentrum dort stehen dabei Fragen zur Erkrankung und bisherigen Behandlung sowie zur beruflichen Situation vor der gesundheitlichen Verschlechterung. Das Fragenset fällt je nach Erkrankung und beruflicher Situation unterschiedlich aus. Zudem liegt jedem Fragebogen eine Schweigepflichtentbindungserklärung mit mehreren Auswahlmöglichkeiten bei.
Ein telefonisches Interview erweist sich als sinnvolle und vor allem kundenorientierte Alternative zum Fragebogenversand. Speziell geschulte Leistungsprüfer des Versicherers fragen alle relevanten Fakten ab und übertragen diese anschließend in den Leistungsfragebogen. Die Kunden müssen ihre Angaben dann nur noch prüfen, ergänzen oder bei Bedarf korrigieren und per Unterschrift bestätigen. Optional unterstützen Mitarbeiter des Versicherers (Außenregulierer) oder externe Dienstleister vor Ort beim Ausfüllen des Fragebogens. Einige Gesellschaften setzen hier gern auf den Service von MedicalsDirect.
Ob umfangreicher Papierfragebogen oder Interview – in beiden Fällen sind weitere Unterlagen erforderlich. Dazu zählen Befundberichte, Entlassungsberichte des Krankenhauses, Einkommensnachweise und Arbeitsverträge.
Dass kundenorientiertes Vorgehen zu schnelleren Ergebnissen führen kann, zeigen die unterschiedlichen Antwortzeiten der Kunden: Die Bandbreite beträgt je nach Unternehmen und Vorgehensweise (Versand Fragebogen, Telefoninterview oder Vor-Ort-Service) zwischen 19 und 46 Tagen (Durchschnittswerte pro Gesellschaft aus unserer Stichprobe). Im Mittel der untersuchten Versicherer dauert es 40 Tage, bis alle angeforderten Informationen eingegangen sind.
Vom Leistungsfragebogen bis zur Feststellung der Berufsunfähigkeit
Liegen alle Informationen vor, benötigen die untersuchten Gesellschaften im Schnitt 13,88 Tage für die Auswertung.
Doch die Faktensammlung ist in der Regel jetzt noch nicht abgeschlossen. Häufig kommt es zu Rückfragen, vor allem zur tatsächlich ausgeübten beruflichen Tätigkeit. Vergessene Unterschriften oder fehlende medizinische Berichte lösen ebenfalls Nachfragen aus. Generell aber zeigt sich auch hier: Je besser der Versicherer bei der Erledigung unterstützt, desto weniger Rückfragen gibt es. Und das spart Zeit!
Versäumnisse in der Digitalisierung bremsen Geschwindigkeit der Leistungsprüfung
Sind zusätzliche Informationen oder Unterlagen erforderlich, ergibt sich meist weiteres Einsparpotential, das bislang noch zu selten gehoben wird. Denn: Versicherer fragen fast immer noch in Schriftform, also per Brief, nach. Mindestens 2-3 Tage Regulierungszeit ließen sich mit einem Telefonat oder einer E-Mail anstelle der Papierversion jedes Mal einsparen. Dass dies nicht nur kundenorientierter wäre, sondern auch die Poststraße im Haus entlastet, Porto und Papier spart und zugleich die Umwelt schont, liefert zusätzliche Argumente für Änderungen im Ablauf. Eine digitale Leistungsakte ist ebenfalls für beide Seiten nützlich. Versicherte können hier den aktuellen Stand der Leistungsfallbearbeitung einsehen und erforderliche Antworten oder Dokumente einfach selbst hochladen.
Wissen und Erfahrungen von Leistungsprüfern sowie konsequente Zuordnung bergen wirksame Hebel für kürzere Bearbeitungsdauern. Erste Erfahrungen mit der systematischen Kategorisierung von Leistungsfällen und Schlüsselung auf spezialisierte Teams stimmen uns optimistisch.
Klarer Fall: Einige Anträge auf Berufsunfähigkeit werden schnell entschieden
In eindeutig gelagerten Fällen entscheiden die untersuchten Versicherer, ohne zusätzlich Ärzte der Kunden zu befragen. In diese Kategorie fallen besonders häufig Krebserkrankungen („Bösartige Neubildungen“). Hier erfolgt die Feststellung einer Berufsunfähigkeit in der Regel schnell. Ebenfalls schnell, aber mit anderem Ausgang votieren Versicherer bei vertraglich vereinbarten Ausschlussklauseln. Besteht zum Beispiel wegen Vorerkrankung ein Leistungsausschluss für die komplette Wirbelsäule, lehnen Versicherer BU-Leistungen aufgrund eines Bandscheibenvorfalls in aller Regel ab, und das zügig.
Vergleichsweise lang dauert hingegen die Leistungsprüfung bei Unfällen und psychischen Erkrankungen. Wie lange genau einzelne Krankheitsbilder in der BU-Regulierung dauern, erklären wir im nächsten Blogbeitrag zu den Ursachen der Berufsunfähigkeit.
Ärztliche Stellungnahmen verzögern Feststellung einer BU
Wenn die Angaben und Unterlagen der Versicherten eine Berufsunfähigkeit nicht eindeutig belegen, fragen Versicherer bei deren Behandlern nach. Diese Rückfragen bei Ärzten und Kliniken verschlingen in der Regel viel Zeit. Antwortzeiten von einigen Monaten sind eher die Regel als die Ausnahme. Hier zeigt sich: Die Kommunikation mit Behandlern ist noch nicht in der digitalen Welt angekommen. Zu umständlich gestalten sich die Prozesse.
Externe Gutachten werden jedoch nur in fünf Prozent der Fälle angefordert. Die Durchlaufzeit für Gutachten beträgt im Durchschnitt mehr als drei Monate (rund 100 Tage). Als besonders zeitintensiv erweisen sich psychische Gutachten. Dies ist auf komplexe Krankheitsbilder, vor allem aber auf fehlende Kapazitäten zurückzuführen.
Doch es gibt einen Ausweg: Erste Ansätze für Portallösungen, in denen Ärzte strukturiert und kunden-individualisiert Angaben zu Behandlungen und Gesundheitszustand eingeben können, befinden sich in der Testphase. Auch digitale Konferenzen und Messenger-Tools würden für Abhilfe sorgen und die Abstimmung unter mehreren Beteiligten erleichtern. Einzig der Datenschutz stellt hier noch eine Herausforderung dar, die aber lösbar sein sollte.
Netto 140 Tage bis zur BU-Entscheidung
Wenn die letzten Unterlagen eingegangen sind, brauchen die untersuchten Versicherer noch rund 20 Kalendertage für eine finale Entscheidung. Viel oder wenig? Das ist relativ. Zumindest haben sich viele Gesellschaften in ihren BU-Bedingungen auf Fristen von zehn Werktagen oder 14 Kalendertagen verpflichtet.
Aber dieser Gap zwischen Anspruch (BU-Bedingungen) und Wirklichkeit (BU-Regulierungspraxis) muss nicht sein. Häufig ist er auf holprige Prozesse und fehlende Entscheidungsbefugnisse zurückzuführen. So braucht es für das abschließende Votum nicht selten mehrere Instanzen, und vorab wird in strittigen Fällen noch einmal der Gesellschaftsarzt befragt. Reichen die Vollmachten der zuständigen Leistungsprüfer aufgrund der Rentenhöhe nicht für eine Freigabe, verzögert sich die Zahlungsfreigabe weiter – auf Kosten der Versicherten, aber auch zu Lasten der Reputation des Versicherers. Hier ist Feinjustierung gefragt.
Alles in allem beträgt die Regulierungsdauer nach Eingang des Fragebogens („Nettoregulierungsdauer“) derzeit gut 130 Tage. Rechnet man die Zeit vom Eingang der BU-Meldung bis zum vollständig ausgefüllten Kundenfragebogen hinzu, ergibt sich eine Gesamtregulierungsdauer von rund sechs Monaten.
Doch wir bleiben optimistisch: Werden alle Stellschrauben aktiviert, stehen die Chancen für eine deutlich schnellere Feststellung einer Berufsunfähigkeit gut. Und vielleicht gehen ja auch mehr Vermittler als bisher dazu über, ihren Kunden in dieser schwierigen Phase zur Seite zu stehen. Wie ist Ihre Meinung?
Unsere Empfehlungen für eine schnellere und kundenorientierte BU-Leistungsprüfung:
- Reden ist besser als schreiben, Service vor Ort oder Videocall ist besser als aus der Zentrale.
- Digitale Kommunikation und eine elektronische Kundenakte sparen Zeit und Geld.
- Spezialisierte Teams können die Bearbeitungsdauern verkürzen.
- Mit digitalen Tools wird die Expertise von Medizinern und Fachleuten für Berufsbilder und Arbeitsplatzgestaltung schneller und effizienter verfügbar.
Untersuchungssteckbrief der BU-Leistungspraxisstudie 2021 von Franke und Bornberg
- Teilnehmer: Allianz, ERGO Vorsorge, Generali Deutschland, Gothaer, HDI, Nürnberger und Zurich
- Gesamtbestand: 7,10 Mio. BU-Versicherte, davon 1,98 Mio. BUZ zur Beitragsbefreiung einer Hauptversicherung
- BU-Leistungsbestand: 145.836 Verträge zum Jahresende 2019
- BU-Leistungsfall-Neuanmeldungen: 31.771
- Zeitrahmen: Die BU-Regulierungsstudie 2020Leistungspraxisstudie 2021 basiert auf Untersuchungsdaten für das Geschäftsjahr 2019. Diese Daten wurden durch Stichproben vor Ort/ Online von November bis Dezember 2020 validiert.
- Umfang der Stichproben: Mehr als 875 Leistungsfälle (je Versicherer mindestens 125). Der Schwerpunkt liegt auf komplizierteren Regulierungen, denn diese bergen ein vergleichsweise hohes Konfliktpotential. Dazu zählen Anfechtungen wegen verletzter Anzeigepflicht, BU-Grade unter 50%, das Unterschreiten des bedingungsgemäßen Prognosezeitraums, Individualvereinbarungen sowie Vergleiche. Ablehnungen sind für Verbraucher und Vermittler besonders problematisch. Aus diesem Grund hat Franke und Bornberg Ablehnungen bei der Auswahl der Stichprobe mit 60 % systematisch übergewichtet, obwohl diese nur knapp ein Viertel aller Leistungsentscheidungen ausmachen. Personenbezogene Daten wurden nicht erfasst.
- Repräsentativität: Die Studie basiert auf einer aussagekräftigen und umfangreichen Analyse vieler Leistungsfälle. Größe, Marktrelevanz und die unterschiedlichen Ausrichtungen der untersuchten Gesellschaften lassen Schlussfolgerungen für die gesamte Branche zu. Dennoch ist die Anzahl der Unternehmen, die freiwillig Transparenz zeigen, noch immer niedrig. Das schränkt die Allgemeingültigkeit dieser Studie ein.
Auf die mögliche…
Auf die mögliche Berufsunfähigkeit ist man oft kaum vorbereitet, eine BU-Leistungsprüfung ist sinngemäß und notwendig. Mit dem richtigen Partner an der Seite kommt man auch über diese schwere Zeit hinweg.
Die Anzahl der Ablehnungen ist jedoch schon etwas besorgniserregend.